Abenteuer Neißemünde und Neuzelle– ein Taizé-Tag und anderes! September 2023
Auf und davon in den äußersten Osten unserer Republik, dahin, wo Oder und Neiße die Grenze nach Polen bilden. Weite Fahrt, ja, auch noch mit kurzem Werkstattaufenthalt, weil das Autodisplay Reifendruckprobleme meldete. Und mit einem schrecklich aufgeregten kleinen Hund, meiner Minki, die das Autofahren hasst. Aber es ging nicht anders. Bis zur Ankunft knapp elf Stunden, nun ja..
Einmal an Berlin vorbei, gab sich die Landschaft deutlich weniger zersiedelt, aber Teiche und Seen und Flüsschen – kein Wunder, die meisten Naturschutzgebiete Deutschlands liegen nun mal in Brandenburg. Ein El Dorado für Vogelliebhaber und Sternengucker – einen solch klaren Nachthimmel habe ich lange nicht gesehen, und auch das nicht in Deutschland! Das war u.a. ein Grund für meine Freunde Liesel und Ewald mitzufahren, der sich aufs Sternenhimmel-fotografieren freute. Zu Recht!
Ein Taizé-Seminar an einem völlig ungewöhnlichen Ort! Von Klöstern ist man Historie durchaus gewöhnt, aber ein altes Gasthaus? Als von Dorothee und Christoph bei einem Seminar in Leipzig die Frage kam, ob ich denn auch bis zu ihnen käme, hatte ich keine wirkliche Vorstellung, was mich erwartet. Wir hatten uns schnell anstatt auf ein ganzes Wochenende auf einen einzelnen Tag geeinigt, vielleicht noch Sonntag singen in einem Gottesdienst…
Also ein altes Gasthaus aus dem 19. Jahrhundert mit bewegter Geschichte, dort, wo die Neiße in die Oder mündet. Die Kajüte, idyllisch gelegen, eine schöne Wiese hinterm Haus. Super geeignet für den Beginn mit dem Yoga-Morgengebet. Zu meiner Überraschung 25 Menschen überwiegend jüngeren bis mittleren Alters, die meisten mit Yogamatte ausgerüstet, davon 9 Männer. Erstaunlich, diese Relation gibt es bei meinen Seminaren hier fast nie…
Und dann die Gruppenrunde im „Tanzsaal“ – ein Raum, der wirklich multi-funktional genutzt wird. Nicht unbedingt geeignet für meditative Texte und Gesänge, etwas mühsam, Atmosphäre entstehen zu lassen. Ja und dann die nächste Überraschung für mich – fast niemand kannte Taizé oder die Gesänge, beinahe wären wir gleich zu Beginn beim (in meinem Kopf) uralten und weltbekannten „Laudate omnes gentes“ gescheitert.
Ich bekam Stress. Am Vortag hatte ich mit einem der Patres im Kloster Neuzelle vereinbart, dass wir am Sonntag im und nach dem Hochamt einige Lieder aus Taizé zu Gehör bringen würden. Eine kurze Weile sah ich meine Felle schwimmen und musste umdisponieren. Einige wenige erfahrene Chorsänger halfen gegenseitig aus und als wir um eins in die Mittagspause gingen, fühlte ich mich sehr unsicher.
Die Verpflegung in der Kajüte wird wie auch die Organisation des Programms vom großen Freundes-Netzwerk der beiden ehrenamtlich betrieben in diesen 3 Sommermonaten, bei allen zusätzlich zur täglichen Arbeit. Hut ab – da habe ich wirklich über manches gestaunt. Überhaupt – unkomplizierte anpackende Menschen, sehr angenehm. Auch die Begegnung mit Menschen beim Einkaufen oder im Restaurant haben wir als sehr angenehm empfunden.
Am Nachmittag konnten wir wegen der Vorbereitungen für die Abendveranstaltung nicht in der Kajüte bleiben, sondern mussten bei ziemlich schwül-warmen Wetter in Ratzdorf in die kleine evangelische Kirche gehen. Alle waren müde, zu warm, haben sich aber doch zu einem Durchgang der Lieder motivieren lassen. Minki genoss den Beobachtungsposten! (s. Foto)
Inzwischen hatte ich mitbekommen, dass die meisten aus reiner Neugier an diesem Tag teilnahmen, weil Dorothee (dieser weibliche Hand Dampf in allen Gassen!) es organisiert hatte.
Bei 2,5% Katholiken in Brandenburg und 10% Protestanten wird nicht gefragt, bist du katholisch oder evangelisch, sondern schlicht: bist du christlich? Und viele von denen, die da mit mir Taizé-Gesänge übten, waren „nichts“.
Ich habe mich am Ende kaum getraut zu fragen, wer denn am Sonntagmorgen um 9.15 Uhr zum Einsingen in Neuzelle sein würde. Und siehe, bis auf zwei (beruflich verhindert) alle. Und sie waren Sonntagmorgen auch da, pünktlich!!
Wir mussten uns in der evangelischen Kirche nebenan einsingen, (drei verschiedene Kirchen in eineinhalb Tagen!!), das bedeutete, dass wir uns vor dem ersten Lied in dem riesigen Raum nicht hören würden.!!! Zu meiner Überraschung waren die sieben Lieder präsent, immerhin für die meisten seit gestern neu, nur kleine Hilfen nötig. Dann gingen wir hinüber.
Tief Luft holen beim Betreten dieser mächtigen Basilika. Ich glaube, ein solcher „Raum“ macht etwas mit Menschen, auch wenn sie inhaltlich keinen Zugang haben. Eine Teilnehmerin war besonders aufgeregt. Sie gehörte zu den drei Mitgliedern dieser kleinen Gemeinde, mit zitternder Stimme „hier soll ich jetzt singen? Und dann da vorne in der Mitte, wo einen alle sehen?“ Jaaa…
Ein Hochamt mit viel Weihrauch, aber einem sehr zugewandten Pater mit einer richtig guten Predigt, zwei Liedern in der Messe und dann ein Mini-Konzert danach. Und fast alles klappte !!!
Ich habe ein bisschen moderiert, da ich nach der Erfahrung in unserer Gruppe auch bei den Menschen in der Kirche nicht viel Wissen von Taizé voraussetzen wollte – aufmerksame Zuhörer bis strahlende Gesichter, „mein ungewöhnlicher“ Chor füllte diesen Raum, als wären die Barockengel mit ihren himmlischen Stimmen mitten unter uns. Die Anspannung wich zunehmend – bei einem Lied hatten wir im Alt große Probleme, aber auch das war nicht mehr wirklich wichtig.
Als wir zum Schluss noch einmal mit „Laudate omnes gentes“ begannen und es, wie angekündigt, dann auch auf Ukrainisch sangen, begann eine Frau herzzerreißend zu weinen. (Vielleicht können solche Tränen ein wenig Salbe auf der großen Wunde der Trauer sein?)
Eine gute Resonanz, großer Applaus und am Ende viel Freude auf beiden Seiten. Eine Dame kam nach vorne, völlig begeistert und bedankte sich für diesen beschwingenden Sonntagmorgen. Unser jüngster Teilnehmer (21) sagte hinterher fast verblüfft „und wie die Leute mitgegangen sind…“ Ja, nach „meinem zitterigen“ Samstag auch für mich eine große Erleichterung und nach tiefem Durchatmen auch Freude.
Der Pater nickte uns aufmunternd zu, ein Mitbruder rief noch „sehr schön gemacht“ im Hinausgehen. Und einige von uns hatten zum ersten Mal in ihrem Leben einen Fuß in eine Kirche gesetzt oder eine Messe miterlebt.
Und das alles organisiert von der protestantischen (hier würde es ja „nur“ christlich heißen) Dorothee, die über ihre Restaurationsarbeit einen freundschaftlichen Kontakt zu Pater Isaak entwickelt hat, und für die es dadurch auch ein Stück ihre Kirche geworden ist. Sie ist in der evangelischen Kirche beheimatet, aber der Pastor war an dem Tag nicht da und so sangen wir letztlich in dieser beeindruckenden großen Stiftskirche, auch zu ihrer und Christophs persönlichen Freude.
Danach hatte ich eine Führung ganz für mich allein von Dorothee (Frau Dr. Schmidt-Breitung!!) durch den Kreuzgang, den sie vor einigen Jahren von Wohnungen und Büros freilegen durfte und nicht nur Barockes unter der „Umnutzung“ auffand, sondern sogar Mittelalterliches! Eigentlich bin ich ja nicht so die Kunst- und Geschichts- Interessierte, aber eine Führung von einem Menschen, der für dieseArbeit brennt und mich richtig an der „Entdecker-Aufregung“ teilhaben ließ, das war schon ein Geschenk und hat mein Verständnis für diesen Berufszweig in zwei Tagen verändert. Wir drei hatten dann nämlich am Montag auch noch eine Führung in Schloss Branitz (und Fürst-Pückler Museum), wo sie und ihr Mann derzeit aktuell wirken.
Unsere beiden Restauratoren, zu denen wir eingeladen und dort untergebracht waren, leben auf einem alten Vierkanthof in einem Ortsteil von Neißemünde, in einer größeren Wohngemeinschaft. Dazu gehören Gäste von nah und fern, so wie wir, zwei nette Menschen aus Kuba und eine junge Frau, ursprünglich aus
Sierra Leone, die hier ihre Masterarbeit zu Ende bringen will und von Christoph dabei unterstützt wird. Also viel Spanisch bei den Mahlzeiten oder eben Englisch! Und noch zwei Familien, die auch dauerhaft dort wohnen.
Im Sommer spielt sich alles draußen ab. Interessant fand ich, da heißt es nicht „outdoor-Küche“ wie bei meinen Nachbarn, sondern wir treffen uns zum Essen in der „Sommerküche“. Ein Badezimmer bei den beiden, was jederzeit benutzt werden durfte, mit warmem Wasser, ansonst halt kalt. In Zeiten von Jugendlagern war das normal, jetzt empfinde ich mich doch als verwöhnt …
Am Sonntagabend hatten wir drei uns in Neuzelle ein herrliches Abendessen im Prinz Albert gegönnt.
Montagabend habe ich mit Minki allein in aller Ruhe an der Neißemündung gesessen, die Sonne neigte sich über der Oder zum Abschied des Tages und den Wiesen und Auwäldchen voll Geschnatter und Gepiepe und anderen Vogellauten…
Kein Mensch sonst, die Kajüte geschlossen, hin und wieder jemand mit Hund.
Welch ein Spannungsbogen in diesen Tagen. Leider habe ich auch feststellen müssen, dass meine körperlichen Kräfte begrenzt sind, die Anspannung zwischendurch recht hoch war und meine Nächte schlecht. Aber ich möchte diese Erfahrung nicht missen, es bleibt sogar ein wenig Wehmut, warum wir uns in früheren Jahren nicht mehr diesem schönen Teil Deutschlands zugewendet haben.
Ich bin froh und dankbar, dass ich das alles so erleben durfte. Und die Heimfahrt war dann mit 9 Stunden fast „locker“. Am glücklichsten über unsere Heimkehr war Minki!!!
Alle Bilder von Ewald Klein
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